Erschreckendes zur Gender Equality in der Musikindustrie
“Die Popkultur ist bei diesem Thema gefühlt so weit vorne, aber die Realität, in der viele Menschen täglich leben, fällt dahinter weit zurück”, sagt Kate Nash, Musikerin, Schauspielerin und Botschafterin der Geschlechtergerechtigkeits-Initiative Keychange. Hier ein paar Zahlen, um ihre Aussage zu untermauern:
- Weniger als 3% Hits werden von Frauen produziert. Das stellte die Annenburg Inclusion Initiative bei den 800 Top Songs in den USA der Jahre 2012 bis 2019 fest (Billboard 100)..
- Nur 14% weibliche Autoren stehen laut Vick Bains Counting the Music Industry-Report bei britischen Verlagen unter Vertrag.
- 82% der CEOs britischer Musikverlage sind männlich (Counting the Music Industry)
- Music Business Worldwide berichtet bei den drei großen Labels im Vereinigten Königreich von einem geschlechtsspezifischen Lohngefälle von knapp 30%.
- Über 80%ige Männer-Dominanz auf Festivalbühnen stellte für 2019 der British Festival Report bei 16 der 22 untersuchten Line-Ups fest.
Die Liste lässt sich lange weiterführen…
Wo sind die Frauen in den Line-Ups?
Wenn du dir ein Festival Poster genau anguckst, siehst du viele Namen – manche bekannt, einige unbekannt. Wir fragen uns dann: wo sind die Frauen? @bookmorewomen führt das Ungleichgewicht von Mann und Frau in Line-Ups ganz unmissverständlich vor Augen, indem der Instagram-Account Festivalplakate postet, bei denen alle männlichen Live Acts entfernt wurden. Das sieht teilweise echt alarmierend leer aus. Besonders wenn du bedenkst, dass die gefragtesten und beliebtesten Künstler*innen der Branche derzeit mit Ariana Grande, Beyoncé oder Billie Eilish Frauen sind.
Gender Equality bei INES
gigmit hat zusammen mit 19 europäischen Showcase Festivals das Innovation Network of European Showcase Festivals (INES) aufgebaut. Der internationale Frauentag ist eine hervorragende Gelegenheit, sich auch mal selbst unter die Lupe zu nehmen: wie viele Frauen sind in INES Line-Ups vertreten?
Das Ergebnis finden wir natürlich insgesamt „ausbaufähig“. Die Grafik basiert auf den jeweils letzten Ausgaben der Festivals (2019-2020). Stand 02/2020.
Für den INES#talent Pool 2020 haben derweil u.a. diese Festivals 134 vielversprechende Newcomer*innen aus ihren Ländern gewählt. Dieses Jahr sind 45,5% der INES#talents Solokünstlerinnen oder Bands mit weiblicher Besetzung. Das ist eine Steigerung der Balance im Vergleich zu letztem Jahr. 2019 waren nur 40,9% der INES#talents weiblich.
Wir haben uns auch die Seite der “Industry Pros” angeschaut. Wer bucht Künstlerinnen und ist für ausgeglichene Line-Ups verantwortlich? Offenbar sind es hauptsächlich Männer. Im INES-Netzwerk sind nur 4 von 19 Festival-Bookern Frauen, also 21%.
Nicht nur Booker, A&Rs, Manager*innen, Veranstaltende und Erfinder*innen neuer Technologien sind auf Musik Konferenzen. Es sind zweifelsohne die besten Orte, um Industrie-Experten aller Couleur treffen zu können. Podiumsdiskussionen und der neuste Branchen-Talk sind hier sowohl für Künstler*innen als auch Fachleute definitiv unerlässlich. Beim Liverpool Sound City war die Rednerliste für 2019 zu 66% weiblich.
Gleichgewicht als Auflage
Immer mehr Festivals identifizieren Gender Equality als wichtiges Thema. Das französische MaMA-Festival und sein Konferenzteil verpflichten sich z.B. bei Speaker*innen und Line-Up selbst, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis von 1:1 zu erreichen. Bei der Most Wanted: Music 2019 in Berlin waren 45% der Speaker*innen Frauen. Wir waren selbst dort, gigmit Acts und INES#talents sind bei der Konferenz aufgetreten. Olaf Kretschmar, Organisator, CEO und Cluster Manager der Berlin Music Commission (BMC), erklärte, dass das MW:M-Team sogar zu 65% aus Frauen bestand.
Wer ist gerade nicht im Raum und warum?
Der Mangel an „female representatives“ in der Musikindustrie wird auch bei immer mehr Konferenz-Panels thematisiert. Die Herausforderungen für die verschiedenen Sektoren, Regionen und Genres sind dabei sehr unterschiedlich. Wer mit ihrer (oder meistens eher seiner) Organisation an ganz praktischem Wandel interessiert ist, kann sich aber einfach mal die Frage stellen: Wer ist gerade nicht im Raum und warum? „Die anschließende Diskussion trägt in der Regel dazu bei, die Barrieren zu spezifizieren, mit denen die Menschen konfrontiert sind“, sagt Maxie Gedge von Keychange.
Was ist Keychange?
Die PRS Foundation Initiative Keychange will bei Musikveranstaltungen bis 2022 die 50:50 Gender-Balance. Die internationale Initiative ruft alle Musik-Organisationen auf, Verantwortung zu übernehmen und etwas zu ändern – und zwar in allen Bereichen ihrer Arbeit: in der Belegschaft, im Vorstandszimmer, auf den Bühnen, überall. Wer die “Keychange-Pledge” unterzeichnet, verspricht, Geschlechtergleichberechtigung ernsthaft erreichen zu wollen.
Konkretes Ziel von Keychange ist es, Frauen und Gender-Minderheiten alle nötigen Skills und Möglichkeiten zu bieten, um die nächste Stufe ihrer Karriere erreichen zu können. 74 Künstler*innen und Musikindustrie-Fachmenschen werden für das Förderprogramm jedes Jahr aus einer offenen Ausschreibung ausgewählt.
Zu den ausgewählten Künstler*innen gehören 2020:
- INES#talent 2019 MounQup
- Sol Escobar
- Joanna Duda
- ISÁK
- und viele weitere…
Wie geht es weiter?
“Seit der Gründung von Keychange haben bereits viele unserer Unterzeichner*innen ihre Ziele erreicht“, sagt Maxie Gedge – darunter Iceland Airwaves und Mutek Montreal. In einigen Regionen sind weniger Unterzeichnende zu finden. So z.B. auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Nordafrika und den USA. Der Schwerpunkt soll in Phase 2 auf der Entwicklung von Gesprächen in diesen Regionen liegen.
2020 haben sich viele neue Festivals dazu entschieden, Keychange-Partner zu werden, sich selbst zu verpflichten und zu handeln. Darunter sind auch neun INES#festivals.
Andere Festivals, die bei Keychange mitmachen, haben übrigens freie Slots auf gigmit ausgeschrieben. Etwa das Bluedot Festival, die Tallinn Music Week und das Valley of Arts Festival.
Fazit
Obwohl sich die Musikbranche als Ort gelebter Vielfalt sieht, bildet sich das in ihren Strukturen längst nicht mehr ab: Weibliche, trans- und non-binäre Künstler*innen haben weniger Auftrittsmöglichkeiten als Männer, sie verdienen weniger und bekommen schwieriger Jobs in der Musikbranche. Das muss sich ändern! Gender Equality in der der Musikindustrie ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg in eine zukunftsfähige Musiklandschaft.
Gleichberechtigung passiert auch in der Musikbranche nicht von allein. Es gibt aber Initiativen wie Keychange, die sich für Chancengleichheit einsetzen. Bei Veranstaltenden-Netzwerken wie INES sind durchaus positive Entwicklungen zu verzeichnen. Es lohnt sich also, das Thema immer wieder auf den Tisch zu bringen – solange bis sich etwas geändert hat.
Mehr Informationen zu Keychange findest du HIER.
HIER findest du alle Infos zum INES Programm.
HIER kannst du die Infografik herunterladen.